In meinem "früheren" Leben (d. h. vor meiner behinderungsbedingten Frühpensionierung) war es mir zum Glück möglich, in mehreren hochinteressanten Bereichen tätig zu sein: in Bibliotheken und Archiven, an der Universität als Wissenschaftlerin, Doktorandin und Lehrende, in der Erwachsenenbildung an Volkshochschulen, freiberuflich als Ethnomusikologin, Voice-Coach und Sängerin. Diese polychrome Lebensgestaltung war zwar keine Berufslaufbahn im herkömmlichen Sinn, erlaubte mir aber, meine vielschichtigen Talente, Kenntnisse und Fähigkeiten auszuüben.
Die Begeisterung für Bücher begleitet mich schon seit meiner frühesten Kindheit - ständig hatte ich etwas zu lesen dabei!
Nach vielen Jahren als Lehrerin hatte ich schließlich genug von Schule (bzw. vom österreichischen Schulsystem), machte einen radikalen Schnitt und war von da an im Bibliotheks- und Archivwesen
tätig. Ich liebte den Beruf als Bibliothekarin sehr und absolvierte zudem den einjährigen postgradualen Universitätslehrgang "Library and Information Science" an der Österreichischen
Nationalbibliothek.
Nach mehrjähriger Bibliotheksleitung am Wien Museum und wissenschaftlichen Archivierungsprojekten, z. B. in der Bibliothek des Jüdischen Museums Wien sowie am DÖW (Dokumentationsarchiv des österreichischen Widerstandes), arbeitete ich zuletzt als Archivarin am Phonogrammarchiv der ÖAW (Österreichische Akademie der Wissenschaften), wo ich für die Katalogisierung der jüdischen Sammlungen und die Transkription jiddischer Interviews zuständig war.
Vom Phonogrammarchiv wurde ich auch mit Aufnahmegeräten für die Feldforschung zu meiner Dissertation über die jiddische Vokaltradition der Chassidim ausgestattet. Das PhD-Studium in Ethnomusikologie an der Musikuniversität Wien war die logische Folge meiner wissenschaftlichen und künstlerischen Betätigung, die sich in erster Linie um jiddische Lieder drehte.
Langjährige Wissenschaftsassistentin und Lektorin für musikethnologische Feldforschungsprojekte zur jüdischen Musik in Osteuropa im Wiener Kulturverein Varwe Musica betrieb ich daneben auch eigene Forschungsarbeit zur jiddischen Kultur in Wien (insbes. bei den Chassidim), welche u. a. von Wien Kultur gefördert wurde.
Als Musikerin im Klezmer-Ensemble Scholem Alejchem war ich über 10 Jahre lang nicht nur "Frontfrau", Sängerin und Moderatorin, sondern ebenso Event- und Konzertmanagerin - wir hatten Auftritte in Wien und ganz Österreich, und wir unternahmen auch viele Konzerttourneen ins Ausland (häufig nach Moldavien und in die Ukraine).
Bei all dem blieb mir immer noch Zeit, um in meiner eigenen Coaching-Praxis Voice&Bodywork Stimmbildung, Präsentationstechnik und Qigong zu unterrichten sowie an Volkshochschulen Kurse für jiddische Lieder, Klezmer-Folkloretänze, Qigong und Meditation zu leiten. Außerdem war ich langjährig (und zumeist ehrenamtlich) im Antirassismusbereich tätig, nicht nur am DÖW, sondern v.a. bei ZARA - Zivilcourage und Antirassismus-Arbeit, der Beratungsstelle für Opfer und Zeug*innen von Rassismus, wo ich rassistische Beschmierungen im öffentlichen Raum dokumentierte, Geflüchtete bei Behördengängen unterstützte und DaF (Deutsch als Fremdsprache) unterrichtete.
Meine ganze Seele gehörte damals der Musik und dem Gesang - bei Scholem Alejchem fand ich mein musikalisches Zuhause. Wir hatten ein breites Repertoire aus Klezmermusik und jiddischen, hebräischen und sefardischen Liedern, dazu noch Couplets aus Wiener Volkskomödien und auch wienerische sowie jiddische Kabarettchansons - eine herrlich magische Atmosphäre!
Doch dann stand meine Welt auf einmal völlig still: Plötzlich körperlich behindert zu sein, war zunächst ein enormer Schock und massiver Einschnitt in meinem bisherigen bunten Leben. Keine Konzerte und Tourneen, keine Forschungsprojekte mehr; den damaligen Lehrauftrag am Institut für Judaistik der Universität Wien konnte ich nicht mehr weiterführen, genauso wenig mein Doktoratsstudium, weil ich nicht mehr in der Lage war, die Reisen für die ethnomusikologische Feldforschung zu unternehmen (dabei hatte ich mich schon so auf meine Forschungszeit in Israel und den USA gefreut).
Zu allem Übel "verlor" ich damals auch noch beinahe alle Freundinnen und Freunde, weil diese mit einer behinderten Mirjam nichts mehr anzufangen wussten. Zu dem für mich ungewohnten körperlichen Leid kam also noch ein tiefer seelischer Schmerz hinzu.
Dennoch gab ich nicht auf - da ich mein ganzes Leben schon die wohltuende und beglückende Wärme und Zuneigung von Tieren erfahren durfte, wusste ich natürlich um die heilsame und therapeutische Wirkung des Zusammenseins mit Tieren. Also "startete" ich als ehrenamtliche Hundebetreuungspatin und Dogwalkerin am Wiener Tierschutzhaus in mein "neues" Leben mit Behinderung und lernte dort meine späteren Assistenzhunde Leah und Gizmo kennen, die somit quasi zu Mitbegründern meines österreichischen Tierschutz- und Assistenzhundevereins Helping Dogs wurden..
Leah und Gizmo absolvierten zunächst gemeinsam mit mir - als erste Tierschutzhunde österreichweit - die Therapiebegleithundeausbildung bei TAT - Tiere als Therapie an der Vet.-med. Universität Wien und wir waren einige Jahre ehrenamtlich als hundegestützt-pädagogisches Team bei Kindern und Jugendlichen mit Migrationshintergrund tätig (Lerntafel für Deutsch und Englisch).
Unter Supervision des Wiener Verbands Freunde der Assistenzhunde Europas wurden Leah und Gizmo von mir selbst zu Servicehunden ausgebildet und unterstützten mich viele Jahre lang bei der Bewältigung meines Alltags, worin mir zu allem Übel auch der Rollstuhl nicht erspart blieb. Ohne diese beiden Hunde hätte ich niemals so gut in mein Leben mit Behinderung hineingefunden und meine Lebensqualität wäre bei weitem nicht so hoch!
Mittlerweile ist Leah hochbetagt im Alter von mehr als 15 Jahren gestorben und auch Gizmo ging mit (leider erst) 13,5 Jahren über die Regenbogenbrücke. Speedy, der alle Hilfeleistungen eines Assistenzhundes beherrscht, jedoch aufgrund seiner deprivationsbedingten Scheu vor fremden Menschen keine Assistenzhundeprüfung bestehen kann, unterstützt mich zuhause und auf unseren einsamen Waldtouren als Helping Dog.
Während der vergangenen Jahre in Österreich engagierte ich mich nicht nur im Tierschutz, sondern ebenso in der Integration von Menschen mit Behinderung. Meine beratende Tätigkeit als Vorsitzende der Ortsgruppe Raabs an der Thaya des KOBV-Behindertenverbandes sah ich als passende Ergänzung zum Verein Helping Dogs.
Soziales Engagement war mir immer schon selbstverständlich: Früher arbeitete ich ehrenamtlich im Antirassismus-Bereich, setzte mich aber - seit ich zurückdenken kann - für den Tierschutz ein, denn ich verbrachte bereits mein ganzes Leben mit Tieren (Hunde, Katzen, Pferde, Ziegen, Schafe, Kühe, Schweine, Hühner, Kaninchen und Farbratten). Diese jahrzehntelange Erfahrung bildet die Basis für meine kontinuierliche (nicht enden wollende) Weiterentwicklung im Tier-, Natur- und Artenschutz.
Meine neue Heimat fand ich 2018/19 in Deutschland - im wunderschönen Schlaubetal (die mehrmonatige Reise mit meinen Hunden im Wohnwagen durch Brandenburg beschreibe ich im Blog Helping Dogs on Tour, worin ich auch Wanderrouten und Entdeckungstouren, Wolfs- und Moormonitoring und natürlich Hundegeschichten, kurz gesagt unsere Erlebnisse in der Natur mit vielen Fotos festhalte).
Nach der Therapie- und Assistenzhundeausbildung folgten Selbst- und Fernstudien zu Tierphilosophie, Tierethik, Tierrechten, Tierschutz, Mensch-Tier-Beziehung, Verhaltensbiologie (mit Schwerpunkt Kynologie) sowie Naturschutz und Wildtierforschung (mit Fokus auf Caniden und Corviden - letzten Sommer kamen dann noch Spinnen hinzu). Da Weiterbildung niemals aufhört, lese ich laufend wissenschaftliche Fachbücher und Artikel in Scientific Journals, wodurch mit der Zeit eine beachtenswerte Bibliothek entstand, die ich - soweit es mir die finanziellen Mittel einer Frührentnerin erlauben - stets versuche, "up to date" zu halten. Außerdem bilde ich mich regelmäßig in Lehrgängen, Seminaren und Webinaren fort.
Den Lehrgang "Wolfsmonitoring" (LUPUS Institut & Wildnisschule WILDNISWISSEN) schloss ich im Februar 2020 erfolgreich ab. Seither begeistere ich mich für´s Spurenlesen (nicht nur von Wölfen), doch Corona-bedingt konnte ich mich die vergangenen Jahre lediglich im Selbststudium und im - überraschenderweise sehr praxisorientierten und anschaulichen - Online-Lehrgang Die Kunst und Wissenschaft des Fährtenlesens an der Kojote-Akademie weiterbilden.
"Stammgast" wurde ich bei den höchst niveauvollen und informativen Online-Veranstaltungen der European Wilderness Society und als Hundefachfrau ist mir kontinuierliche kynologische Fortbildung sowieso wichtig (durch die Aufklärungsarbeit zu Wölfen und Herdenschutz richtete sich mein Fokus in letzter Zeit verständlicherweise immer mehr auf Herdenschutzhunde).
Das zweijährige Fernstudium in Kynologie (Hundewissenschaften) an der renommierten Schweizer Akademie für Tiernaturheilkunde (ATN) habe ich im April 2021 mit sehr gutem Erfolg abgeschlossen (und darf mich seither als "Zertifizierte Kynologin" bezeichnen) - ein Jahr später als geplant, weil mir neben der alltäglichen Tierbetreuung, ehrenamtlichen Arbeit und sonstigen laufenden Weiterbildung nicht gerade viel Zeit für ein Studium übrig blieb;-)
Noch dazu holte mich meine Leidenschaft für Botanik wieder ein, welche sich im schönen Schlaubetal wunderbar "ausleben" ließ, da mich meine stundenlangen Wandertouren mit den Hunden nicht nur zu Spuren und sonstigen Hinterlassenschaften von Wildtieren, sondern ebenso zur bunten Pflanzenwelt des Schlaubetals führten. Meine botanischen Kenntnisse konnte ich im Rahmen des Moormonitorings, das ich von 2019 bis 2021 als ehrenamtliche Moorpatin beim BUND Brandenburg durchführte, nicht nur anwenden, sondern auch erweitern!
In der Wolfsforschung sowie bei der Bewusstseinsbildungs- und Aufklärungsarbeit zum Thema Wolf arbeitete ich in erster Linie beim BUND Brandenburg, wo ich zudem Sprecherin des Landesarbeitskreises "Wolf und Herdenschutz" war. Gleichfalls gab es Kooperationen mit der Gesellschaft zum Schutz der Wölfe e.V., dem Freundeskreis freilebender Wölfe e.V., der Allianz Wolf Brandenburg und selbstverständlich mit dem Landesamt für Umwelt (LfU) - das LfU ist nämlich der Adressat für die Ergebnisse des Wolfsmonitorings, wozu auch ich ehrenamtlich meinen bescheidenen Beitrag leistete.
Bei meiner Naturschutzarbeit merkte ich immer wieder, dass ich mehr über Biologie und Ökologie wissen und vor allem meine Artenkenntnisse vertiefen will. Darum entschloss ich mich zu einem weiteren Studium und startete im September 2021 quasi als "Oma-Studentin" an der HNEE (Hochschule für nachhaltige Entwicklung Eberswalde): BSc Landschaftsnutzung und Naturschutz (LaNu) - sehr spannend, aber leider auch ziemlich verschult mit extrem dichtem Stundenplan, Montag bis Freitag von früh bis spät!
Nachdem ich erkannte, dass mir dieses Bachelorstudium weit mehr Stress als Vergnügen bringt, stieg ich im Wintersemester 2022 um: in das Masterstudium Bildung - Nachhaltigkeit - Transformation (gleichfalls an der HNEE). Obwohl dieses berufsbegleitende Studium weniger zeitaufwändig war, merkte ich doch bald, dass mir die - wiewohl ambitionierten und interessanten - Themen nichts wirklich Neues vermittelten und dass ich keine Lust mehr auf Verfassen von Seminararbeiten und Ablegen von Prüfungen hatte. Deshalb beendete ich auch dieses Studium rasch, noch dazu kostete es pro Semester rund 2000 € - das viele Geld nutze ich lieber für Reisen mit meinen Hunden!
Offensichtlich liegt es mir - bei meinem "akademischen Vorleben" mit vielen Studien und Qualifikationen - nun gar nicht mehr, fremdbestimmt in einem verschulten Umfeld zu studieren, da lerne ich lieber so wie´s mir passt.
Seit Dezember 2021 arbeite ich bei Palanca e.V. (Afrikanischer Kulturverein Eberswalde), dort bin ich redaktionell für Website und Social Media zuständig. Zudem organisiere ich Deutsch-Kurse für Geflüchtete und unterrichte - wie in früheren Zeiten in Wien - Deutsch als Fremdsprache.
Ich war schockiert, als ich bemerkte, dass sich in den 20-25 Jahren, seitdem ich in Wien im Antirassismusbereich tätig war, kaum etwas zum Besseren verändert hat. Immer noch gibt es rassistische Anfeindungen und Übergriffe im Alltag, immer noch behördlichen Rassismus, immer noch werden geflüchteten Menschen im neuen Land nicht bloß Steine, sondern ganze Felsen in den Weg gelegt und somit die Integration massiv erschwert! Für mich ist das ungeheuerlich und unfassbar - im 21. Jahrhundert!! Deshalb wirke ich bei Palanca e.V. mit, netzwerke auch mit weiteren antirassistischen Verbänden in Eberswalde (u.a. Barnim für alle, Bündnis Unteilbar Eberswalde, Bürger*innenasyl Barnim) und bin beim Integrationsnetzwerk des Landkreises Barnim mit dabei.
Von Mai 2022 bis Februar 2023 unterrichtete ich - als erfahrene Lehrerin für DaF (Deutsch als Fremdsprache) - ehrenamtlich bei den von mir organisierten Deutschkursen für Geflüchtete (einen A1- & B1-Kurs sowie einen Grammatikkurs). Die gut besuchten Kurse fanden in Räumlichkeiten der Hochschule für nachhaltige Entwicklung Eberswalde (HNEE) statt, jedoch erlebte ich dort mehrfach Diskriminierung aufgrund von Behinderung, weshalb ich die Kooperation mit der HNEE aufgab. Tja, auch moderne Hochschulen, die sich der Nachhaltigkeit verschrieben haben, stecken teilweise immer noch in Denkweisen einer "Nondisabled Supremacy" fest. Aber ich hatte ehrlich gesagt nach den kränkenden Erfahrungen und enttäuschenden Gesprächen mit Kanzler und Präsident der HNEE, die zudem auch Denkmuster von "White Supremacy" erkennen ließen, keine Kraft mehr, mich neben meinem Engagement gegen Rassismus und Antisemitismus auch noch für Rechte von Menschen mit Behinderung einzusetzen. Natürlich gehören ebenso Menschen mit Behinderung zu meinem Idealbild einer plurikulturellen, gleichberechtigten und demokratischen Gesellschaft dazu, aber als selbst körperbehinderte Frau, die zudem unter chronischen Schmerzen leidet, schaffe ich eben nicht alles.
Nichtsdestotrotz setze ich mich weiterhin gegen Extremismus, Fremdenfeindlichkeit, Rassismus und Antisemitismus ein - durch meine Arbeit bei Palanca e.V. sowie durch meine Mitwirkung beim Förderverein Finower Wasserturm und sein Umfeld e.V. und dem Freundeskreis Israel in Eberswalde e.V., wo ich nicht nur aufgrund meiner wissenschaftlichen Expertise, sondern insbesondere als jüdische Insiderin viel zur Bewusstseinsbildung und Aufklärung über das Judentum und die Vielfalt der heutigen jüdischen Lebenswelten beitragen kann.
Geprägt durch "Goyish Supremacy" (die sich bspw. in der Gedenkkultur zur Shoah bemerkbar macht, welche fest in deutscher nicht-jüdischer Hand ist), Alltags-Antisemitismus (bspw. Othering mit wiederkehrenden und stets aufs Neue verletzenden Mikroaggressionen) und dem Gewahrsein, dass die gojische Mehrheitsgesellschaft so gut wie nichts über das Judentum oder jüdisches Leben im Hier und Heute weiß, habe ich die Initiative Jewish Eberswalde entwickelt. Einerseits biete ich qualifizierte geführte Touren durch das jüdische Eberswalde an (Erinnerungskultur mal aus jüdischer Sicht), andererseits vermittle ich aber auch durch eine Serie von Limudim (hebr. für Studien, hier im Sinne von limudej jahadut: Studien/Lernen über das Judentum) Einsichten, Kenntnisse und Wissen - somit hoffentlich auch Bewusstseinsbildung und Perspektivwechsel - zur jüdische Kultur(geschichte) und zur Vielfalt der heutigen jüdischen Lebenswelten. Und das alles wissenschaftlich fundiert, didaktisch-methodisch fortschrittlich und vor allem aus jüdischer Insiderperspektive (siehe hierzu auch mein Blogbeitrag Jewish heritage in Eberswalde - Jüdischsein aus emischer und etischer Sicht.
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