Jiddisch ist nicht meine mameloshn (Muttersprache) - ganz im Gegenteil bin ich erst als Erwachsene zur jiddischen Sprache gekommen. Aber vertraut waren mir so manche Ausdrücke schon zuvor, denn besonders im Wienerischen Dialekt finden sich viele jiddische Wörter.
Eigentlich bin nicht ich zum Jiddischen gekommen, sondern es war eher umgekehrt: Jiddisch hat mich gefunden. Seinerzeit (wir schrieben das Jahr 1999) gab ich als Sängerin Konzerte mit Wiener Liedern und wienerisch-jüdischen Kabarettchansons und bei einer meiner Aufführungen war auch Isaak Loberan sel. A. im Publikum mit dabei. Nach dem Konzert kam er auf mich zu und fragte mich ganz unverblümt, ob ich mir vorstellen könne, in seiner kapelye "Scholem Alejchem" jiddische Lieder zu singen. Zum damaligen Zeitpunkt hatte ich zwar noch rein gar nichts von einem Klezmerensemble Scholem Alejchem und kaum etwas von jiddischen Liedern gehört, aber Isaak hatte eine so charmante Art und schilderte mir so begeistert von seiner musikalischen Arbeit, dass ich nicht nein sagen konnte. Aus dieser allerersten Begegnung entstand eine langjährige musikalische Partnerschaft und eine lebenslange Freundschaft.
Isaak Loberan sel. A. nahm mich unter seine Fittiche und lehrte mich den tam (den Geschmack; hier ist gemeint: die Ausdrucksweise) der jiddischen Lieder - ich verdanke ihm viel! Gleichzeitig belegte ich einen Jiddisch-Kurs in der Jüdischen Volkshochschule am Praterstern (in meinem Wiener Heimatbezirk)., wodurch ich nicht nur Yiddish basics lernte, sondern sich auch mein damals bloß marginales Hebräisch verbesserte, weil Jiddisch ja ebenso mit hebräischen Buchstaben geschrieben wird und sich auch viele hebräische Wörter im Jiddischen wiederfinden.
Bei regelmäßigen ehrenamtlichen Konzerten im Jüdischen Seniorenzentrum von Wien und auch bei ESRA (Jüdische Sozialambulanz und Tagesstätte in Wien) konnte ich meine ersten Erfahrungen mit dem Singen jiddischer Lieder sammeln, bevor wir - das neue Klezmerensemble Scholem Alejchem - größere Auftritte hatten (Kernmusiker:innen waren: Isaak Loberan, Akkordeon, Hanna Melnyk, Violine, Michael Preuschl, Kontrabass, Martina Cizek, Saxophon, und meine Wenigkeit als Sängerin, dazu kamen je nach Programm immer wieder auch andere Musiker:innen).
Viele Jahre - bis zu meinem behinderungsbedingten Ausstieg 2010 - waren wir ein fixer Bestandteil der Wiener (jüdischen) Kulturszene und auch österreichweit sowie international unterwegs, insbes. in Osteuropa, wo wir, Isaak und ich, außerdem noch Feldforschung zur jüdischen Musik betrieben.
Mehr zu meiner musikalischen und ethnomusikologischen Laufbahn siehe bei Leben vor der Schwerbehinderung (nach unten scrollen zu "Mein sehr buntes Berufsleben").
Isaak sammelte bei jüdischen Überlebenden und auch bei örtlichen nicht-jüdischen Kapellen insbes. in der Ukraine und in Moldavien Klezmermusik und jiddische Lieder, welche wir, das Klezmerensemble Scholem Alejchen, in Wien, Österreich und international auf die Bühne brachten. Die Audio- und Videoaufnahmen, die Isaak Loberan sel. A. während seiner Feldforschung gemacht hat, sind im Phonogrammarchiv der ÖAW (Akademie der österreichischen Wissenschaften) verewigt, auch CDs mit Raritäten aus der Feldforschung wurden produziert. Zudem veröffentlichte Isaak mehrere Musikbände mit Noten.
Schon vor meiner Schwerbehinderung war ich in der Aufklärung über jüdische Lebenswelten, jüdische Kultur, Tradition und Religion tätig: einerseits als Sängerin und Moderatorin des Klezmer-Ensembles Scholem Alejchem, wo ich durch Musik und jiddische bzw. hebräische Lieder jüdische Feste und Feiertage, ihre Symbole und Riten vorstellte, andererseits als Ethnomusikologin mit Feldforschungsprojekten und Lehre an der Universität Wien sowie durch Vorträge und Workshops in der Erwachsenenbildung. Nachzulesen in meinen biographischen Notizen Leben vor der Schwerbehinderung (nach unten scrollen zu "Mein sehr buntes Berufsleben").
Mein "neues" Leben mit Schwerbehinderung zog mich zunächst in ganz andere Gefilde: Als ich - borekhashem! - nicht mehr auf den Rollstuhl angewiesen war, sondern langsam wieder gehen lernte, übte ich das Gehen bei immer ausgedehnteren Spaziergängen mit den Hunden durch die Wälder und kam so zum Moormonitoring, Wolfsmonitoring und zur Aufkärung über Wölfe und Herdenschutz sowie zur Forschung über Kolkraben.
Seit dem Auftreten meiner Schwerbehinderung sind mittlerweile mehr als 15 Jahre vergangen - viele Jahre, in denen ich mich überhaupt nicht mit Jiddisch beschäftigt hatte. Doch hier in Berlin traf ich eines Tages die Jiddischist:innen Leyzer Burko und Julia Kojfman nach einem Konzert auf dem Jüdischen Kulturschiff MS Goldberg: Unser Gespräch über Jiddisch und Gott & die Welt war quasi der zündende Funke, welcher die Lust auf Jiddisch wiederum in mir erweckte.
Seit dem Wintersemester 2024/25 besuche ich Jiddisch-Kurse für Fortgeschrittene beim YIVO und Worker Circle.
Work in progress ...
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