Mirjam Silber, M.A.

Leben mit Schwerbehinderung - biographische Notizen

In meinem "früheren" Leben (d. h. vor meiner behinderungsbedingten Frühpensionierung) war es mir zum Glück möglich, in mehreren hochinteressanten Bereichen tätig zu sein: in Bibliotheken und Archiven, an der Universität als Wissenschaftlerin, Doktorandin und Lehrende, in der Erwachsenenbildung an Volkshochschulen, freiberuflich als Ethnomusikologin (Forschungsschwerpunkt: jiddische Vokaltradition der Chassidim), Voice-Coach und - last but not least - Sängerin im Klezmer-Ensemble Scholem Alejchem. Diese polychrome Lebensgestaltung war zwar keine Berufslaufbahn im herkömmlichen Sinn, erlaubte mir aber, meine vielschichtigen Talente, Kenntnisse und Fähigkeiten auszuüben.

Critical Life Event

Doch dann brach plötzlich alles zusammen und meine bunte Welt stand auf einmal völlig still ...

Plötzlich körperlich behindert zu sein, war zunächst ein enormer Schock und massiver Einschnitt in meinem bisherigen bunten Leben. Keine Konzerte und Tourneen, keine Forschungsprojekte mehr; den damaligen Lehrauftrag am Institut für Judaistik der Universität Wien konnte ich nicht mehr weiterführen, genauso wenig mein Doktoratsstudium, weil ich nicht mehr in der Lage war, die Reisen für die ethnomusikologische Feldforschung zu unternehmen (dabei hatte ich mich schon so auf meine Forschungszeit in Israel und den USA gefreut).

Zu allem Übel "verlor" ich damals auch noch beinahe alle Freundinnen und Freunde, weil diese mit einer behinderten Mirjam nichts mehr anzufangen wussten. Zu dem für mich ungewohnten körperlichen Leid kam also noch ein tiefer seelischer Schmerz hinzu.

Dennoch gab ich nicht auf - da ich mein ganzes Leben schon die wohltuende und beglückende Wärme und Zuneigung von Tieren erfahren durfte, wusste ich natürlich um die heilsame und therapeutische Wirkung des Zusammenseins mit Tieren. Also "startete" ich als ehrenamtliche Hundebetreuungspatin und Dogwalkerin am Wiener Tierschutzhaus in mein "neues" Leben mit Behinderung und lernte dort meine späteren Assistenzhunde Leah und Gizmo kennen, die somit quasi zu Mitbegründern meines österreichischen Tierschutz- und Assistenzhundevereins Helping Dogs wurden..

Leah & Gizmo - vom Tierschutzhund zum Assistenzhund

Leah und Gizmo absolvierten zunächst gemeinsam mit mir - als erste Tierschutzhunde österreichweit - die Therapiebegleithundeausbildung bei TAT - Tiere als Therapie an der Vet.-med. Universität Wien und wir waren einige Jahre ehrenamtlich als hundegestützt-pädagogisches Team bei Kindern und Jugendlichen mit Migrationshintergrund tätig (Lerntafel für Deutsch und Englisch).

Unter Supervision des Wiener Verbands Freunde der Assistenzhunde Europas wurden Leah und Gizmo von mir selbst zu Servicehunden ausgebildet und unterstützten mich viele Jahre lang bei der Bewältigung meines Alltags, worin mir zu allem Übel auch der Rollstuhl nicht erspart blieb. Ohne diese beiden Hunde hätte ich niemals so gut in mein Leben mit Behinderung hineingefunden und meine Lebensqualität wäre bei weitem nicht so hoch!

Mittlerweile ist Leah hochbetagt im Alter von mehr als 15 Jahren gestorben und auch Gizmo ging mit (leider erst) 13,5 Jahren über die Regenbogenbrücke. Speedy, der alle Hilfeleistungen eines Assistenzhundes beherrscht, jedoch aufgrund seiner deprivationsbedingten Scheu vor fremden Menschen keine Assistenzhundeprüfung bestehen kann, unterstützt mich zuhause und auf unseren einsamen Waldtouren als Helping Dog.

Während der vergangenen Jahre in Österreich engagierte ich mich nicht nur im Tierschutz, sondern ebenso in der Integration von Menschen mit Behinderung. Meine beratende Tätigkeit als Vorsitzende der Ortsgruppe Raabs an der Thaya des KOBV-Behindertenverbandes sah ich als passende Ergänzung zum Verein Helping Dogs.

Soziales Engagement war mir immer schon selbstverständlich: Früher arbeitete ich ehrenamtlich im Antirassismus-Bereich, setzte mich aber - seit ich zurückdenken kann - für den Tierschutz ein, denn ich verbrachte bereits mein ganzes Leben mit Tieren (Hunde, Katzen, Pferde, Ziegen, Schafe, Kühe, Schweine, Hühner, Kaninchen und Farbratten). Diese jahrzehntelange Erfahrung bildet die Basis für meine kontinuierliche (nicht enden wollende) Weiterentwicklung im Tier-, Natur- und Artenschutz.

Auf nach Deutschland - Erste Station: Wolfsmonitoring im Schlaubetal

Meine neue Heimat fand ich 2018/19 in Deutschland - im wunderschönen Schlaubetal (die mehrmonatige Reise mit meinen Hunden im Wohnwagen durch Brandenburg beschreibe ich im Blog Helping Dogs on Tour, worin ich auch Wanderrouten und Entdeckungstouren, Wolfs- und Moormonitoring und natürlich Hundegeschichten, kurz gesagt unsere Erlebnisse in der Natur mit vielen Fotos festhalte).

Nach der Therapie- und Assistenzhundeausbildung folgten Selbst- und Fernstudien zu Tierphilosophie, Tierethik, Tierrechten, Tierschutz, Mensch-Tier-Beziehung, Verhaltensbiologie (mit Schwerpunkt Kynologie) sowie Naturschutz und Wildtierforschung (mit Fokus auf Caniden und Corviden - letzten Sommer kamen dann noch Spinnen hinzu). Da Weiterbildung niemals aufhört, lese ich laufend wissenschaftliche Fachbücher und Artikel in Scientific Journals, wodurch mit der Zeit eine beachtenswerte Bibliothek entstand, die ich - soweit es mir die finanziellen Mittel einer Frührentnerin erlauben - stets versuche, "up to date" zu halten. Außerdem bilde ich mich regelmäßig in Lehrgängen, Seminaren und Webinaren fort.

Den Lehrgang "Wolfsmonitoring" (LUPUS Institut & Wildnisschule WILDNISWISSEN) schloss ich im Februar 2020 erfolgreich ab. Seither begeistere ich mich für´s Spurenlesen (nicht nur von Wölfen), doch Corona-bedingt konnte ich mich die vergangenen Jahre lediglich im Selbststudium und im - überraschenderweise sehr praxisorientierten und anschaulichen - Online-Lehrgang Die Kunst und Wissenschaft des Fährtenlesens an der Kojote-Akademie weiterbilden.

"Stammgast" wurde ich bei den höchst niveauvollen und informativen Online-Veranstaltungen der European Wilderness Society und als Hundefachfrau ist mir kontinuierliche kynologische Fortbildung sowieso wichtig (durch die Aufklärungsarbeit zu Wölfen und Herdenschutz richtete sich mein Fokus in letzter Zeit verständlicherweise immer mehr auf Herdenschutzhunde).

Das zweijährige Fernstudium in Kynologie (Hundewissenschaften) an der renommierten Schweizer Akademie für Tiernaturheilkunde (ATN) habe ich im April 2021 mit sehr gutem Erfolg abgeschlossen (und darf mich seither als "Zertifizierte Kynologin" bezeichnen) - ein Jahr später als geplant, weil mir neben der alltäglichen Tierbetreuung, ehrenamtlichen Arbeit und sonstigen laufenden Weiterbildung nicht gerade viel Zeit für ein Studium übrig blieb;-) Zudem ist ein Leben mit Gehbehinderung und chronischen Schmerzen überaus mühsam. Auch wenn ich durch meine positive Einstellung, mithilfe von Qigong, Mindfulness und anderen Übungen (sowie durch die Spaziergänge) und nicht zuletzt auch durch regelmäßige Pausen ganz passabel mit Behinderung lebe (baruch ha-Shem!), so ist trotzdem der Alltag ziemlich eingeschränkt. Vor allem die ständigen Schmerzen machen mich fertig (obwohl ich medikamentös gut eingestellt bin, bleiben doch stets mehr oder weniger Restschmerzen, die mich belasten und mir das Leben erschweren; hinzu kommen immer wieder auch Phasen mir erhöhten Schmerzen und Schmerzspitzen, da bin ich dann zu gar nichts zu gebrauchen und komplett am Ende). Am besten helfen aber - neben Medikamenten - die Spaziergänge mit den Hunden.

Durch die heilsamen Naturerfahrungen holte mich meine Leidenschaft für Botanik wieder ein, welche sich im schönen Schlaubetal wunderbar "ausleben" ließ, da mich meine stundenlangen Wandertouren mit den Hunden nicht nur zu Spuren und sonstigen Hinterlassenschaften von Wildtieren, sondern ebenso zur bunten Pflanzenwelt des Schlaubetals führten. Meine botanischen Kenntnisse konnte ich im Rahmen des Moormonitorings, das ich von 2019 bis 2021 als ehrenamtliche Moorpatin beim BUND Brandenburg durchführte, nicht nur anwenden, sondern auch erweitern!

In der Wolfsforschung sowie bei der Bewusstseinsbildungs- und Aufklärungsarbeit zum Thema Wolf arbeitete ich in erster Linie beim BUND Brandenburg, wo ich zudem Sprecherin des Landesarbeitskreises "Wolf und Herdenschutz" war. Gleichfalls gab es Kooperationen mit der Gesellschaft zum Schutz der Wölfe e.V., dem Freundeskreis freilebender Wölfe e.V., der Allianz Wolf Brandenburg und selbstverständlich mit dem Landesamt für Umwelt (LfU) - das LfU ist nämlich der Adressat für die Ergebnisse des Wolfsmonitorings, wozu auch ich ehrenamtlich meinen bescheidenen Beitrag leistete. 

Nächste Station: Eberswalde

Bei meiner Naturschutzarbeit merkte ich immer wieder, dass ich mehr über Biologie und Ökologie wissen und vor allem meine Artenkenntnisse vertiefen will. Darum entschloss ich mich zu einem weiteren Studium und startete im September 2021 quasi als "Oma-Studentin" an der HNEE (Hochschule für nachhaltige Entwicklung Eberswalde): BSc Landschaftsnutzung und Naturschutz (LaNu) - sehr spannend, aber leider auch ziemlich verschult mit extrem dichtem Stundenplan, Montag bis Freitag von früh bis spät! Das war mir mit körperlicher Behinderung und chronischen Schmerzen natürlich alles viel zu viel.

Nachdem ich erkannte, dass mir dieses Bachelorstudium weit mehr Stress als Vergnügen bringt, stieg ich im Wintersemester 2022 um: in das Masterstudium Bildung - Nachhaltigkeit - Transformation (gleichfalls an der HNEE). Obwohl dieses berufsbegleitende Studium weniger zeitaufwändig war, merkte ich doch bald, dass mir die - wiewohl ambitionierten und interessanten - Themen nichts wirklich Neues vermittelten und dass ich keine Lust mehr auf Verfassen von Seminararbeiten und Ablegen von Prüfungen hatte. Deshalb beendete ich auch dieses Studium rasch, noch dazu kostete es pro Semester rund 2000 € - das viele Geld nutze ich lieber für Reisen mit meinen Hunden!

Offensichtlich liegt es mir - bei meinem "akademischen Vorleben" mit vielen Studien und Qualifikationen - nun gar nicht mehr, fremdbestimmt in einem verschulten Umfeld zu studieren, da lerne ich lieber so wie´s mir passt (und wie ich es als chronische Schmerzpatientin überhaupt imstande bin).

Aktiv gegen Rassismus und Antisemitismus

Von Dezember 2021 bis Dezember 2023 arbeitete ich bei Palanca e.V. (Afrikanischer Kulturverein Eberswalde), dort war ich redaktionell für Website und Social Media zuständig. Zudem organisierte ich Deutsch-Kurse für Geflüchtete und unterrichtete - wie in früheren Zeiten in Wien - Deutsch als Fremdsprache (DaF).

Ich war schockiert, als ich bemerkte, dass sich in den 20-25 Jahren, seitdem ich in Wien im Antirassismusbereich tätig war, kaum etwas zum Besseren verändert hat. Immer noch gibt es rassistische Anfeindungen und Übergriffe im Alltag, immer noch behördlichen Rassismus, immer noch werden geflüchteten Menschen im neuen Land nicht bloß Steine, sondern ganze Felsen in den Weg gelegt und somit die Integration massiv erschwert! Für mich ist das ungeheuerlich und unfassbar - im 21. Jahrhundert!! Deshalb wirkte ich bei Palanca e.V. mit, engagierte mich auch bei weiteren antirassistischen Verbänden in Eberswalde (u.a. Barnim für alle, Light me Amadeu, Bündnis Unteilbar Eberswalde) und war beim Integrationsnetzwerk des Landkreises Barnim mit dabei.

Von Mai 2022 bis Februar 2023 unterrichtete ich - als erfahrene Lehrerin für DaF (Deutsch als Fremdsprache) - ehrenamtlich bei den von mir organisierten Deutschkursen für Geflüchtete (einen A1- & B1-Kurs sowie einen Grammatikkurs). Die gut besuchten Kurse fanden in Räumlichkeiten der Hochschule für nachhaltige Entwicklung Eberswalde (HNEE) statt, jedoch erlebte ich dort mehrfach Diskriminierung aufgrund von Behinderung, weshalb ich die Kooperation mit der HNEE aufgab. Tja, auch moderne Hochschulen, die sich der Nachhaltigkeit verschrieben haben, stecken teilweise immer noch in Denkweisen einer "Nondisabled Supremacy" fest. Aber ich hatte ehrlich gesagt nach den kränkenden Erfahrungen und enttäuschenden Gesprächen mit Kanzler und Präsident der HNEE, die zudem auch Denkmuster von "White Supremacy" erkennen ließen, keine Kraft mehr, mich neben meinem Engagement gegen Rassismus und Antisemitismus auch noch für Rechte von Menschen mit Behinderung einzusetzen. Natürlich gehören ebenso Menschen mit Behinderung zu meinem Idealbild einer plurikulturellen, gleichberechtigten und demokratischen Gesellschaft dazu, aber als selbst körperbehinderte Frau mit 60+, die zudem unter chronischen Schmerzen leidet, schaffe ich eben nicht alles.

Jewish Eberswalde & Goyish Supremacy

Nichtsdestotrotz setzte ich mich weiterhin gegen Extremismus, Fremdenfeindlichkeit, Rassismus und Antisemitismus ein - durch meine Arbeit bei Palanca e.V. sowie durch meine Mitwirkung beim Förderverein Finower Wasserturm und sein Umfeld e.V. und dem Freundeskreis Israel in Eberswalde e.V., wo ich nicht nur aufgrund meiner wissenschaftlichen Expertise, sondern insbesondere als jüdische Insiderin viel zur Bewusstseinsbildung und Aufklärung über das Judentum und die Vielfalt der heutigen jüdischen Lebenswelten beitragen konnte.

Geprägt durch Goyish Supremacy (die sich u.a. in der Erinnerungskultur zur Shoah bemerkbar macht, welche fest in deutscher nicht-jüdischer Hand ist [siehe dazu auch meine eigene schmerzliche Erfahrung mit Antisemitismus in einer Eberswalder Gedenkinitiative, die ich weiter unten beschreibe]), durch Alltags-Antisemitismus (bspw. Othering mit wiederkehrenden und stets aufs Neue verletzenden Mikroaggressionen) und dem Gewahrsein, dass die gojische Mehrheitsgesellschaft so gut wie nichts über das Judentum oder über jüdisches Leben im Hier und Heute weiß, habe ich die Initiative Jewish Eberswalde entwickelt. Einerseits bot ich qualifizierte geführte Touren durch das jüdische Eberswalde an (Erinnerungskultur mal aus jüdischer Sicht), andererseits vermittelte ich aber auch durch eine Serie von Limmudim (hebr. für Studien, hier im Sinne von limmudej jahadut: Studien/Lernen über das Judentum) Einsichten, Kenntnisse und Wissen - somit hoffentlich auch Bewusstseinsbildung und Perspektivwechsel - zur jüdischen Kultur(geschichte) und zur Vielfalt der heutigen jüdischen Lebenswelten.  Und das alles wissenschaftlich fundiert, didaktisch-methodisch fortschrittlich und vor allem aus jüdischer Insiderperspektive (siehe hierzu auch mein Blogbeitrag Jewish heritage in Eberswalde - Jüdischsein aus emischer und etischer Sicht. So gesehen war ich wohl doch eine recht innovative und engagierte Eberswalder Bürgerin.

"Schwarzer Schabbat" - wie die jüdische Welt aus den Fugen gerät

Seit dem 7. Oktober 2023 ist jedoch alles anders ...

Der barbarische Terrorangriff der Hamas auf Israels Zivilbevölkerung verursachte einen tiefen Einschnitt in jüdische Lebenswelten, auch in Deutschland. Nach dem Schock und der Trauer über die bestialischen Angriffe, Ermordungen, Verstümmelungen, Vergewaltigungen und Geiselnahmen kamen für uns Jüdinnen und Juden in der globalen Diaspora noch die Todesdrohungen der Hamas hinzu. Mit Entsetzen erlebten wir deutschlandweit ein massives Ansteigen von antisemitischen Über- und Angriffen. Und mit noch größerem Entsetzen erkannten wir trotz klarer Worte pro Israel und contra Antisemitismus seitens hochrangiger Politiker:innen, dass wir hier in unserer Heimat Deutschland nur wenige Verbündetete haben. Denn von den meisten nichtjüdischen Menschen erfahren wir keine Anteilnahme, keine Solidarität - auch von den meisten unserer "Freundinnen" und "Freunde" nicht, was ganz besonders schmerzt. Wie zahlreich waren doch im vorigen Jahr die Sympathie- und Solidaritätsbekundungen sowie Hilfestellungen für Menschen aus der Ukraine (berechtigterweise - auch ich habe mich in der Ukraine-Hilfe engagiert und viele Ukrainer:innen in Eberswalde profitierten von meinen ehrenamtlichen Deutschkursen)! Im Gegensatz dazu erleben wir bedrohten Jüdinnen und Juden lautstarkes Schweigen, im schlimmsten Fall gar Täter-Opfer-Umkehr und (israelbezogenen) Antisemitismus. 

Von ca. 50 Vereinen, politischen Parteien, Kirchen und anderen Organisationen im Landkreis Barnim (allen voran Stadt Eberswalde und HNEE), die ich anschrieb und um ein solidarisches Statement ersuchte, erhielt ich drei (!) Antworten: Einzig die SPD Barnim, die Grünen Barnim und der Evangelische Kirchenkreis Barnim waren bereit, ihre Solidarität mit Jüdinnen und Juden öffentlich zu bekunden (Instagram). Allen anderen (darunter auch die HNEE, die zwar solidarisch zur Ukraine steht, wie sie auf ihrer Homepage verlauten lässt, aber sich ganz offensichtlich nicht für ihre jüdischen und israelischen Studierenden einsetzen will) war mein - eigentlich selbstverständliches - Anliegen nicht einmal einer Antwort wert. Vom Bürgermeister der Stadt Eberswalde erhielt ich - nach mehrmaligem Urgieren (und obwohl ich antisemitische und israelfeindliche Stimmen bei den sog. "Montags-Demos" aufdeckte) - schließlich doch eine Rückmeldung, welche mir endgültig vor Augen führte, dass wir von der Plurikulturalität, wie sie mir vorschwebt, noch Lichtjahre entfernt sind. Kurzgefasstes Fazit: Die Stadt Eberswalde fühlt sich weder für den Schutz von Jüdinnen und Juden noch für das Eintreten gegen Antisemitismus verantwortlich und von Solidarität mit jüdischen Menschen will sie nichts wissen (signifikanterweise wurden alle meine Angebote für ökumenische Veranstaltungen, u.a. Chanukkia am Weihnachtsmarkt, schlichtweg abgelehnt).

Auch beim Afrikanischen Kulturverein Palanca erhielt ich keine Anteilnahme und Unterstützung - Solidarität wurde gänzlich verweigert (es gab zwar Fürsprecher:innen, aber der Palanca-Vorstand verhielt sich absolut ignorant). Das tat mir ganz besonders weh, weil das Palanca-Team ja so etwas wie "Familie" für mich war, doch diese Familie, für die ich mich mit meinem ganzen Herzen und meiner ganzen Kraft eingesetzt hatte, ließ mich im Stich, als ich sie am nötigsten brauchte. Deshalb habe ich aufgehört, bei Palanca zu arbeiten. Solange die Black Communities nicht verstehen (wollen), wie fundamental wichtig es ist, dass sich alle Minderheitengruppen gegenseitig unterstützen, haben wir noch einen sehr, sehr weiten Weg zur echten Plurikulturalität. Allyship gegen Rassismus ist keine Einbahnstraße - Allyship gegen Antisemitismus gehört jedenfalls mit dazu.

Nicht einmal der "Freundeskreis Israel in Eberswalde e.V." fühlte sich nach dem "Schwarzen Schabbat" vom 7. Oktober bemüßigt, öffentlich Solidarität mit Israel zu bekunden. Dabei hatte ich schon länger davor angeboten, ehrenamtlich und unentgeltlich eine Website für den Verein zu erstellen und diese auch zu betreuen; nach dem 7. Oktober legte ich dem Vorstand schließlich nahe, wie wichtig ein solches Solidaritätsbekenntnis gerade jetzt für Israel und für uns Jüdinnen und Juden in Deutschland sei. Doch mein Angebot wurde ignoriert, genauso wie meine Bitte um solidarische Positionierung. Aus dem Verein bin ich ebenfalls ausgetreten.

So viele schlechte Erfahrungen, die ich in Eberswalde machen musste! Nicht zu vergessen, lange vor dem 7. Oktober 2023 gab es ja bereits den antisemitisch motivierten Rauswurf aus der Eberswalder Gedenkinitiative "Spuren jüdischen Lebens in Eberswalde", wo ich - als einzige Jüdin - ein Jahr lang ehrenamtlich mitgewirkt hatte und dann plötzlich aus heiterem Himmel und völlig grundlos in einer hinterhältigen und niederträchtigen Mobbingaktion von den Gojim rausgeschmissen wurde!

Traurige Tatsache dabei ist, dass diese Gojim, die hier (gewissensberuhigende) Gedenkkultur machen, nichts zum jüdischen Alltagsleben, zur jüdischen Kultur und jüdischen Religion wissen (wollen). Sie bieten Führungen zum Synagogendenkmal an, waren aber selbst noch nie in einer Synagoge und wissen nichts über jüdische Gottesdienste, sie führen über jüdische Friedhöfe, haben aber keinen blassen Schimmer von jüdischen Begräbnis- und Trauerriten. Und die einzige Jüdin unter ihnen, die ihnen bereitwillig Auskunft geben würde, werfen sie raus - ist das zu fassen?!

ÜBER tote (ermordete) Jüdinnen und Juden Gedenkkultur zu machen, aber MIT lebenden Jüdinnen und Juden nichts zu tun haben zu wollen und sogar in der Erinnerungskultur zur Shoah "judenfreie" Zonen zu schaffen, das erzeugt jedenfalls eine extrem schiefe Optik. Ein Miteinander auf Augenhöhe? Dieser antisemitische Vorfall zeigt nur allzu deutlich, dass die nichtjüdische Mehrheitsgesellschaft - nachgerade im Shoah-Gedenken - nicht dazu bereit ist.

Jedoch nicht nur die Erinnerungskultur steckt voller Antisemitismen - gleichermaßen ist das Alltagsleben von uns Jüdinnen und Juden dadurch immer wieder beeinträchtigt und seit dem "Schwarzen Schabbat" des 7. Oktober 2023 lauert quasi überall die bösartig verzerrte Fratze des uralten Antijudaismus - mal mehr, mal weniger getarnt: von "Israelkritik" bis hin zu israelfeindlichem Antisemitismus. Der fanatischen Terrororganisation Hamas reicht es nicht, israelische Zivilist:innen heimtückisch niederzumetzeln, nein, alle jüdischen Menschen weltweit werden mit Mord und Totschlag bedroht. Und die Gojim hier in Deutschland, in ganz Europa und in den USA? Größtenteils schweigen sie dazu ... mehr noch: viele geben - in klassischer "Täter-Opfer-Umkehr" Israel die Schuld am bestialischen Terror der Hamas, stellen Israel als "kolonialistischen" und "genozidalen" Dämon dar, skandieren gar im Chor zusammen mit dem islamistischen Mob "From the river to the sea Palestine will be free", sprechen somit Israel das Existenzrecht ab. Muslimische Extremisten wollen in Europa das Kalifat einführen, uns also ins Mittelalter zurückkatapultieren, und hiesige Rechtsextremisten stimmen mit ein, weil sie als "Reichsbürger" sowieso den deutschen Staat ablehnen und sich nach einem starken "Führer" (!) sehnen (und noch eine Gemeinsamkeit all dieser reaktionären "Querdenker": Frauen gehören sowieso an den Herd, sind eh nur zum Kinderkriegen da)! Die politischen Linken setzen gegen all das unsinnige, unredliche Israel-Bashing auch keinen Kontrapunkt, vielmehr sehen sie ihre langjährige - aus fehlgeleiteter Postkolonialismuskritik gespeiste - Abneigung gegen Israel bestätigt. Die öffentlichen Medien ergehen sich - wie seit Jahren bzw. Jahrzehnten gewohnt - in Halbwahrheiten und verzerrten Darstellungen. Und die UNO? Nu, die ist, wie wir ebenfalls aus langjähriger Erfahrung wissen, punkto Israel komplett daneben ...

All diese Teil- und Unbildung führt zur völligen Verblendung - gepaart mit per se latentem Antisemitismus ergibt das eine brandgefährliche Mixtur, womit Realitätsverzerrungen, ja sogar Realitätsverfälschungen legitimiert, als Tatsachen dargestellt und mit einer derartigen Rasanz über Social Media-Kanäle verbreitet werden, dass es nur wenigen gelingt, diese "Fakten" als das zu enttarnen, was sie sind, nämlich fake facts.

Den meisten Menschen ist es nämlich viel zu zeit- und arbeitsaufwändig, Hintergründe zu recherchieren, Quellen zu studieren usw., kurz gesagt, viel zu anstrengend, sich mit komplexen Themen auseinanderzusetzen. Dabei ist gerade die Geschichte und Situation im sog. "Nahen Osten" eine höchst komplexe, die keinesfalls auf Israel vs. Palästina reduziert werden darf. Doch das kümmert niemand aus der Riege der faktenverdrehenden Kleingeister, denn die wollen sowieso nur ihrer simplen (um nicht zu sagen: primitiven) Schwarzweiß-Weltsicht frönen.

Gegen Dummheit ist kein Kraut gewachsen ... aber dass diese Menschen das Leid der Palästinenser:innen in Gaza bedauern und beklagen, hingegen vor dem Leid der Israel:innen und dem Horror, dem die Geiseln der Hamas immer noch ausgesetzt sind, ihre Augen und Herzen verschließen, ist für mich unfasslich. Wieder werden hier verschiedene Maßstäbe angesetzt und wiederum wird Täter-Opfer-Umkehr betrieben: Israel ist und bleibt, wie es schon Alan Dershowitz formulierte, "der Jude unter den Nationen".

Kein Wunder also, dass ich seit dem 7. Oktober 2023 merke, wie allein ich in Eberswalde bin. Von den vielen Bekannten und "Freund:innen" fragt mich kaum ein Mensch, wie es mir in diesen schweren Zeiten geht. Kaum jemand findet ein Wort der Anteilnahme oder des Trostes. Und falls doch jemand das Thema "Krieg in Israel" anspricht, dann kommt mit Sicherheit das berühmt-berüchtigte "Ja, aber ..."! Auf einmal gibt es so viele selbsternannte "Nahost-Expert:innen", da kann ich - so wird mir suggeriert - als betroffene Jüdin trotz der vielen Jahre, in denen ich mich schon mit der israelischen Geschichte und Politik befasse, eh gar nicht mithalten ... grotesk, aber das ist meine Realität. Zudem wird mir als Jüdin für mein Alltagsleben empfohlen, meine Halskette mit Davidstern eher nicht zu tragen und schon gar nicht Hebräisch zu sprechen ... etwa auch noch den Namen ändern?!? Dafke, ich trage weiterhin meinen Davidstern - jetzt erst recht. Und wenn mir danach ist, rede ich Hebräisch oder Jiddisch - jetzt erst recht.

Eberswalde ist mir nunmehr absolut verleidet. Also gehe ich nach Berlin, denn ich bin Mitglied der Jüdischen Gemeinde zu Berlin und dort habe ich wenigstens die jüdische Community um mich herum, abgesehen von dem vielfältigen kulturellen Angebot einer Großstadt. Mein Herz zieht mich eigentlich nach Israel, doch mit den Hunden kann ich Alijah vergessen. Mit Speedy und Chekotee lässt es sich nicht so einfach nach Israel auswandern, noch dazu für mich ältere Dame mit chronischen Schmerzen. Es wird sowieso schon nicht ganz leicht sein, eine Wohnung in Berlin zu finden, die auch für meine Hunde und Katzen passt, aber in Eberswalde hält mich überhaupt nichts mehr (besides: auch in Berlin gibt es viel Natur) - b'ezrat haShem, wir finden schon ein passendes Plätzchen ...